Hier, auf der Sandbank vor Scharhörn, lief in einer stürmischen Nacht der griechische Frachter „Emmanuel M“ auf Grund. Und die „Piraten“, das waren drei Neuwerker, die ein letztes Mal die jahrhundertealte Inseltradition der Strandräuberei aufleben ließen und die von der Besatzung verlassene „Emmanuel M“ gründlich ausräumten. Lüder Griebel (64), der damals als jüngster „Pirat“ mit von der Partie war, ist heute Wirt der Neuwerker Kult-Kneipe „Anker“.
Mit den zehn somalischen Piraten, die derzeit wegen Angriffs auf den Schiffsverkehr und erpresserischen Menschenraubs vor dem Hamburger Landgericht stehen, haben die Neuwerker Strandräuber kaum etwas gemein. Allerdings – strafbar war das, was die Insulaner da vor 41 Jahren auf dem Havaristen trieben, auch. Die Polizei konnte ihnen nur nichts nachweisen. Und nach 30 Jahren verjährten die Taten. Dabei standen die Neuwerker immer unter Verdacht. Nichts hatten die Piraten auf dem Schiff zurückgelassen, was man wegtragen konnte – außer zwei Ostgroschen, berichtete damals die Wochenschau. Sogar das Fernglas des Kapitäns nahmen sie mit. Doch die Polizei konnte die Strandräuber nie fassen – das Schweigen der Insulaner ließ sich nicht brechen.
Mit seinem Vater, der noch in den 60ern als letzter Neuwerker in Cuxhaven wegen Piraterie verurteilt wurde, und Hein vom Kroge war Lüder Griebel, damals Anfang 20, zur „Emmanuel M“ geschlichen. Vom Vater wurde er die steile Bordwand hochgeschickt – ließ dann von Deck eine Leiter runter. „Ich hatte Angst, nicht durchs Bullauge zu passen“, lacht der Wirt, der auch Feuerwehrchef der Hamburger Insel ist. Aber alles klappte. Obwohl sein Vater und Kroge nicht mehr die Jüngsten waren, lebten sie bei ihrem Seeräuber-Abenteuer richtig auf. „Eine 100 Pfund schwere Lukenpersenning, die Taschen voller Nägel, schleppte Kroge von Bord“, erzählt Griebel und läuft mit gekrümmten Rücken vor dem „Anker“-Tresen auf und ab, um den vollbepackten Kroge zu imitieren.
Vom „Anker“ aus fällt der Blick auf den Neuwerker Leuchtturm, mit 700 Jahren das älteste Gebäude Hamburgs. Der mächtige viereckige Backsteinturm wurde auf der damals noch unbewohnten Insel „Nige O“ errichtet, um die Schifffahrt auf der Elbe gegen die damals allgegenwärtigen See- und Strandräuber zu sichern.
Inzwischen ist die kleine autofreie Insel (gehört übrigens verwaltungsmäßig zum Bezirk Mitte) im Sommerhalbjahr ein Touristenmagnet. Jetzt herrscht in dem einstigen „Piratennest“ winterliche Ruhe, aber ab dem 1. April fährt wieder die Fähre „Flipper“ von Cuxhaven aus. Und wer Glück hat, der erlebt einen Heimatabend im „Anker“: Mit „Hamburgs letztem Piraten“ Lüder am Schifferklavier.
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